ALGEA-Workshops: Lebenshilfe in der Antike – Lebenshilfe heute

Eris, die Mutter der ἄλγεα. Innenbild einer attischen schwarzfigurigen Schale, ca. 575-550 v. Chr., Antikensammlung Berlin

Im Sinne exemplarischer ‚Probebohrungen‘ in diachroner Perspektive von der griechischen und römischen Literatur bis in die Gegenwart wird im Projekt 'Lebenshilfe' eine Serie von drei aufeinander aufbauenden Workshops organisiert, die in jedem Projektjahr auf ein bestimmtes Thema fokussieren und dieses im Dialog mit eingeladenen Forscher*innen (auch aus benachbarten altertumswissenschaftlichen Disziplinen wie der Alten Geschichte, der Klassischen Archäologie oder der Ägyptologie/Altorientalistik) vertiefen (je 2 Tage mit ca. 5 bis 10 Vortragenden, mit einem festen Kern von regelmäßigen Teilnehmer*innen sowie jeweils auf die einzelnen Themen spezialisierten Gästen). Hier sind insbesondere auch interdisziplinäre Methodendiskussionen zwischen Klassischen Philolog*innen und Psycholog*innen geplant.
Das titelgebende Motto ALGEA ist dem griechischen ἄλγεα (‚Schmerzen‘, ‚Kummer‘) nachempfunden, was sich – wie das lateinische dolores – sowohl auf körperliche als auch auf seelische Leiden beziehen kann. Zugleich dient der Begriff als illustratives Beispiel für die Wahrnehmung und Konzeptualisierung von Herausforderungen in der antiken Literatur, da die Ἄλγεα in Hesiods Theogonie (227) als Personifikation unter den Nachkommen der Nacht erscheinen. In Vergils Aeneis (6.273-284) wiederum begegnen am Eingang der Unterwelt als feste Bewohner eine ganze Reihe analoger personifizierter Herausforderungen, deren Zusammenstellung und Kategorisierung besonders aufschlussreich ist. Sie reichen von externen, das tägliche Leben erschwerenden Faktoren (Armut, schwere Arbeit und Hunger) über körperliche, mit dem individuellen Lebenslauf verbundene Beeinträchtigungen (Krankheit, Alter und schließlich Tod) und mentale bzw. emotionale Reaktionen auf nicht näher spezifizierte Trigger (Trauer, Sorgen, Furcht, negativ konnotierte Freuden) bis zu die ganze Gemeinschaft in Mitleidenschaft ziehenden Großereignissen wie Krieg, die potentiell destabilisierende Rache und die Zwietracht, die in der römischen Imagination oft für den Bürgerkrieg steht. Zunächst überraschend erscheint in dieser Reihe auch der Schlaf, der jedoch durch seine Verortung in der Unterwelt in die Nähe des Todes gerückt und durch die Zusammenstellung mit den anderen, überwiegend negativ besetzten Personifikationen eher als durch Krankheit oder Kummer beeinträchtigter Schlaf bzw. Schlaflosigkeit charakterisiert wird. Die eng damit verbundenen Träume erscheinen ebenfalls ambivalent, da sie beunruhigen, unter gewissen Bedingungen jedoch auch Lösungsstrategien für Lebensprobleme anbieten können. Eine explizite Hilfestellung zum Umgang mit diesen Herausforderungen wird im narrativen Kontext bei Vergil zwar nicht angeboten, doch werden die meisten der angesprochenen Themenfelder in den oben erwähnten Texten der römischen Literatur in der einen oder anderen Weise verhandelt. Die Identifikation und Evaluation solcher physischer und psychischer Herausforderungen von Einzelnen oder Kollektiven ist somit nicht aus unserer modernen Perspektive auf die Antike übertragen, sondern lässt sich aus den Texten selbst begründen.